
Es war einer dieser Abende, die in Erinnerung bleiben. Zum zweiten Mal gastierte die Internationale Musikbegegnungsstätte Haus Marteau im Speichersdorfer Ortsteil, diesmal mit ihrem Meisterkurs Gesang. Zehn junge Künstlerinnen, vier Tage lang von Professorin Ulrike Sonntag geschult, hatten sich auf die große Bühne vorbereitet – und sie gaben mit Leidenschaft zurück, was ihnen an Wissen, Technik und Ausdruck vermittelt worden war.
Bevor die ersten Töne erklangen, hieß Bürgermeister Christian Porsch die rund 70 Gäste willkommen. Er erinnerte daran, dass es erst im Vorjahr der Klavier-Meisterkurs gewesen sei, der Wirbenz ein Hoch auf der Kulturkarte verschaffte – nun also die junge Gesangselite. Dass für diesen Abend eigens ein Flügel vom Bayreuther Musikhaus Schmidt nach Wirbenz gebracht wurde, zeuge davon, welchen Stellenwert die Reihe „Haus Marteau auf Reisen“ genieße. Porsch dankte Sophie Zeuß vom Bezirk Oberfranken für die Koordination und lobte mit warmen Worten den Verein Kulturscheune e.V. um Vorsitzenden Sebastian Graf: „Ohne euer Engagement wäre dieser Schatz nicht möglich.“ Zugleich wagte er einen Blick in die Zukunft: Truckstop, Josef Menzel, die Kleine Egerländer und die Brettl Spitzn seien bereits gebucht – „Wirbenz bleibt bunt!“
Dann übernahm Ulrike Sonntag. Mit Charme, Eleganz und einem feinen Augenzwinkern führte sie durchs Programm. Sie erklärte die Texte, verband Biographisches mit Anekdoten, ließ Goethe, Rückert oder Rilke lebendig werden. Immer wieder dankte sie Gemeinde und Bezirk: „Kultur braucht Raum – und hier wird er ihr gegeben.“
Den Auftakt bildete Mendelssohns „Herbstlied“: Theresa Praxmarer (Sopran, Wien) und Maria Shebzukhova (Mezzosopran, Düsseldorf/Wien) schufen ein duftiges Duett, das die herbstliche Melancholie fein auskostete. Praxmarer, mit klarem, geradem Ton und in schlichtem dunklen Kleid, überzeugte später auch mit Schumanns „Widmung“ – ein Lied von Liebesglut, das sie ohne Sentimentalität, dafür mit festem Herz sang.
Besonders berührend: Negin Razzaghi Kamroudi aus dem Iran (Hamburg). Ihr „Nur wer die Sehnsucht kennt“ (Schubert) klang wie ein persönliches Bekenntnis, getragen von Sehnsucht und Wehmut, während ihre Gestik – eine leichte Handbewegung, ein gesenktes Haupt – das Heimweh fast greifbar machte.
Lena Kühn (München) verströmte Leichtigkeit und klangliche Wärme. In Ullmanns „Sein erster Kuß“ legte sie feine Nuancen in die Phrasen, während sie in Richard Strauss’ „Schlagende Herzen“ die Leidenschaft förmlich in den Raum schleuderte. Einen jugendlichen Gegenpol setzte Erika Decker Romeu (Köln). Die jüngste Teilnehmerin, mit offenen Gesten und fast mädchenhaftem Elan, präsentierte Wolf und Mozart gleichermaßen frisch. Ihr „Alleluja“ aus „Exsultate jubilate“ wurde zum ersten großen Höhepunkt – zwei Oktaven voller Freude, gekrönt von strahlender Höhe, die das Publikum frenetisch bejubelte.
Maria Shebzukhova, in schwarzer Hose und weißer Bluse, zeigte große Bühnenpräsenz. Mit Mozart und später Gounod war sie nicht nur Stimme, sondern ganze Figur: ihre Mimik funkelte, ihre Bewegungen waren klar, präzise, einstudiert – und doch sprühend vor Energie.
Mediterranes Feuer brachte Montserrat Boixadera (Barcelona) nach Wirbenz. In Haydns Grilletta ließ sie den Lebemann Volpino charmant abblitzen, ihr Spielwitz blitzte durch die Augen. Später in Lehárs „Einer wird kommen“ war ihre Stimme von sehnsüchtiger Glut erfüllt – und doch blieb sie stets elegant.
Als Musetta in Puccinis „Quando m’en vo“ glänzte Yingzi Xia (China/München). Mit sicherem Auftreten, tänzelnder Gestik und einem Lächeln, das die Männerblicke geradezu heraufbeschwor, verkörperte sie Musettas Koketterie. Dass sie am Ende mit Bellinis „Qui la voce“ den Abend beschloss, war folgerichtig: hier verband sie lyrische Süße mit dramatischer Wucht, bis die Scheune förmlich bebte. Eva Degitz (Heidelberg/Saarbrücken) brachte mit Haydns „Nun beut die Flur“ einen frühlingshaften Moment in den Herbstabend. Klar, hell, fast jugendlich sang sie vom Aufblühen der Schöpfung – ein wohltuender Kontrast zu den schweren Opernarien.
Frisch, lebendig, mit tänzerischem Schwung überzeugte Camille Caradeuc (Annecy/Berlin) bei Händels „Tornami a vagheggiar“. Später ließ sie in Donizettis „Chacun le sait“ die Soldatentochter Marie mit Lust und Stolz aufleben – ein Hauch französischer Eleganz mit fränkischer Bodenhaftung.
Nach der Pause ging es Schlag auf Schlag. Von Massenets heiterer Sophie über Mozarts listige Susanna bis hin zu Verdis Pagen Oscar reichte das Spektrum. Jeder Auftritt wirkte wie ein neues Kapitel einer bunten Opernchronik.
Theresa Praxmarer gewann mit Mozarts Susanna an Tiefe – ein Augenzwinkern, ein zarter Blick über die Schulter, ein Spiel mit dem Publikum. Maria Shebzukhova, diesmal mit Gounods Stéphano, legte draufgängerische Frechheit an den Tag, während Negin Razzaghi mit Donizettis „Il faut partir“ einen stillen, fast gebrochenen Moment schuf – das Publikum hielt den Atem an.
Wiederum Erika Decker Romeu brachte Verdis Oscar zum Funkeln: leichtfüßig, charmant, fast schelmisch. Lena Kühn setzte mit „Volta la terrea“ kraftvolle Akzente, während Montserrat Boixadera mit Lehár die Brücke zur Operette schlug – und das Publikum hörbar seufzen ließ.
Dann kam das große Finale: Yingzi Xia als Elvira in Bellinis „I puritani“. In ihrem zarten Kleid, mit wallender Gestik, sang sie sich in einen Rausch – zwischen Wahnsinn und Liebe, Verzweiflung und Sehnsucht. Ein Gänsehautmoment, der die Kulturscheune noch lange nachhallen ließ.
So schloss sich ein Abend, der mehr war als nur ein Konzert. Er war ein Versprechen. Ein Versprechen, dass Stimmen aus aller Welt auch in kleinen fränkischen Dörfern Gehör finden. Bürgermeister Porsch hatte Recht, als er sagte: „Die Kulturscheune ist unser kulturelles Wohnzimmer.“ An diesem Abend aber war sie zugleich Opernhaus, Weltbühne und Zukunftswerkstatt.
Text von Wolfgang Hübner